Thesen: „Evolution und Schöpfung in der Schule“
1. Die Evolutionstheorie muss Teil des Biologie-Curriculums bleiben.

Unterrichtsinhalte an staatlichen Schulen sind nicht der Beliebigkeit anheim gestellt, sondern bedürfen einer sorgfältigen Prüfung. Grundsätzlich kann als Lehrplanbestandteil m.E. verbindlich nur vorgeschrieben werden, was von der Mehrheit der Wissenschaftler als Stand der Wissenschaft akzeptiert wird. Andere Kriterien sind für die Aufsicht führenden Behörden kaum denkbar. Sonst könnte jede beliebige weltanschauliche Strömung einfordern, daß auch für ihre Weltsicht im Unterricht Raum geschaffen wird. Die bemerkenswerte Satire vom „Spaghetti-Monster“ verdeutlicht den Punkt, auch wenn die Bewegung nach meiner Einschätzung durchaus facettenreich ist.

Die Evolutionslehre wird zweifelsohne von der überwältigenden Mehrheit der Biologen als Deutung biologischer Daten vertreten und gehört deshalb in den Lehrplan des Biologieunterrichtes (Im Übrigen muss auch ein christlich orientierter Schüler die Evolutionslehre verstanden haben). Das gilt auch für christliche Schulen, obgleich diese in die Gestaltung ihrer Lehrpläne zusätzlich spezifisch christliche Inhalte einbringen dürfen.

2. Schöpfungslehren gehören nicht in den Biologieunterricht, sondern in den Religionsunterricht.

Alternative Ursprungslehren werden nur von einer Minderheit der Biologen vertreten. Solange dies der Fall ist, gehören sie generell nicht in das Curriculum des staatlichen Biologieunterrichts (s.o.). Das gilt auch dann, wenn sie gut begründet sind. Zusätzlich umfasst „Schöpfung“ als allgemeiner Begriff einen religiösen Inhalt; hierzulande wird er üblicherweise als biblischer Begriff gebraucht. Aussagen biblischer Texte können nicht Gegenstand eines naturkundlichen Unterrichts sein. Daher hätten Schöpfungslehren methodisch gesehen auch dann keinen Raum im Biologieunterricht, wenn sie von einer signifikanten Anzahl von Biologen für wahr gehalten würden. Schöpfung ist und bleibt Thema des Religionsunterrichts. Eine Verhältnisbestimmung von Schöpfung, Naturwissenschaft und Evolution bietet sich allerdings für einen Fächer übergreifenden Unterricht an (s.u.).

3. Juristische Mittel zur Durchsetzung von Unterrichtsinhalten sind unangemessen

Es ist m.E. abwegig, juristische Schritte einzuleiten, um den Unterricht alternativer Ursprungslehren im Fach Biologie einzufordern, oder, was noch bedenklicher wäre, den Unterricht der Evolutionslehre zu verbieten. Wie oben dargelegt, wäre ein solches Vorgehen einer demokratischen Gesellschaft auch dann nicht angemessen, wenn man einen notwendigen Minderheitenschutz berücksichtigt. Das gilt m.E. auch für Intelligent Design, und auch dann, wenn sich erkenntnistheoretisch zeigen liesse, dass diese Anschauung den gleichen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit aufweist wie eine naturalistische Evolutionslehre. Der Ersatz einer wissenschaftlichen Lehre durch eine andere, oder deren gleichberechtigte Darstellung im Unterricht, kann nur auf wissenschaftlich fundierter Überzeugungsarbeit beruhen. Dieser Weg darf weder durch Gerichtsprozesse oder noch durch politische Maßnahmen abgekürzt werden.

4. Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie gehören in den Biologieunterricht

Im Biologieunterricht sollten die Grenzen der naturwissenschaftlichen Methode, auch im Hinblick auf die Evolutionstheorie, möglichst objektiv aufgezeigt werden. Zu diesen Grenzen gehört insbesondere, dass die Naturwissenschaft die Ursprungsfrage nicht endgültig beantworten, sondern dafür nur indirekte Anhaltspunkte liefern kann. Die Evolutionstheorie kann nie mehr als ein – möglicherweise sehr gut begründetes – Denkmodell sein. Dieser Sachverhalt ist in der säkularen Erkenntnistheorie allgemein anerkannt. Quasi-religiöse, naturalistische Absolutheitsaussagen zur „Wahrheit der Evolution“ haben daher ebenfalls keinen Platz im Biologieunterricht.

5. Naturwissenschaftliche Kritik an der Evolutiontheorie gehört in den Biologieunterricht

Naturwissenschaftliche Kritik an der Evolutionslehre muss im Unterricht angemessen thematisiert werden muss. Diese Kritik findet sich reichlich in der wissenschaftlichen Fachliteratur und darf in Schulbüchern und Lehrplänen nicht tabuisiert werden, was leider häufig geschieht. Es ist möglich und wissenschaftlich gesehen notwendig, die Indizien für eine Gesamtevolution der Lebewesen immer wieder kritisch zu diskutieren. Das gelegentlich vorgebrachte Argument, Schülern könne man Kontroversen nicht zumuten, ist nicht stichhaltig. Im Gegenteil gilt, dass einseitige Denkansätze der Erziehung zu selbständigem, kritischem Denken abträglich sind. Der schulische Unterricht sollte eine Kultur des Diskurses sowie des toleranten Umgangs der Schüler mit unterschiedlichen Positionen fördern.

6. Fach übergreifende Verhältnisbestimmung von Evolutionstheorie und Schöpfungslehre

Vor dem Hintergrund der Begrenztheit naturwissenschaftlicher Erkenntnis im besonderen (und menschlicher Erkenntnis im Allgemeinen) ist es angemessen, auf den Schöpfungsglauben als eine Möglichkeit zu verweisen, die naturkundlichen Daten in einem größeren Zusammenhang zu deuten. Es ist im Gegenzug ja weitgehend akzeptiert, dass naturkundliche Daten in einem naturalistischen (atheistischen) Rahmen interpretiert werden. In beiden Fällen handelt es sich aber um eine Grenzüberschreitung und, pädagogisch gesehen, um eine fachübergreifende Aufgabe. Die Zusammenarbeit von Biologie- und Religionslehrer ist angesichts der Bedeutung dieser Frage für die Sinnfindung des Menschen von großer Bedeutung. Dabei wird es dem Schüler ermöglicht, seine eigene persönliche Position zu finden.

7. Zum evolutionskritischen Lehrbuch von R. Junker & S. Scherer

In diesem Lehrbuch wurden sachlich begründete, naturwissenschaftliche Einwände gegen die Evolutionslehre von 14 Naturwissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtung zusammengestellt. Die umfassende und würdigende Darstellung der evolutionstheoretischen Position ist wichtiger Teil des Werkes. Weltanschauliche Deutungen sind optisch auffallend als Grenzüberschreitung gekennzeichnet. Solche Abschnitte sind für eine fachübergreifende Behandlung des Themas zwischen Religions- und Biologieunterricht geeignet.

Für das Werk „EVOLUTION - EIN KRITISCHES LEHRBUCH“ wurde in keinem Bundesland ein Antrag auf Anerkennung als offizielles schulisches Lehrmittel gestellt. Das Buch ist nicht als Alternative für ein zugelassenes Schulbuch konzipiert, weder im Biologie- noch im Religionsunterricht. Es handelt sich um ein zusätzliches Informationsangebot für Lehrer, Schüler und andere Interessierte, die sich auch mit naturwissenschaftlichen, evolutionskritischen Argumenten oder alternativen Deutungen von biologischen Daten befassen wollen.

Der erste Vorläufer des o.g. Buches wurde 1986 unter dem Titel „Entstehung und Geschichte der Lebewesen“ veröffentlicht. Als ich kurz nach meiner Promotion an diesem Buch mitarbeitete, stand ich dem amerikanischen Kreationismus noch nahe. Der Weyel-Verlag (Giessen) hat 1986 einen Antrag auf Zulassung dieses Werkes als Lehrmittel für den Biologieunterricht gestellt. Aus meiner heutigen Sicht war die Ablehnung dieses Antrages durch die Behörden berechtigt.

Fassung vom 31.10.2006

(c) by Siegfried Scherer