Kein Grund zur Sorge
von Siegfried Scherer

Es handelt sich hier um den bei geo.de eingereichten Text. Die gekürzte und von geo.de publizierte Version finden Sie hier.

Sie sollten unbedingt das Interview mit Prof. Kutschera auf geo.de anklicken, am besten jetzt gleich, bevor Sie weiter lesen. Geo.de hat mich eingeladen, eine Replik darauf zu schreiben. Das fand ich nett. Und schwierig. So ein Text muss kurz und plakativ sein, ein bisschen augenzwinkernd - sonst liest das ja keiner. Als Ergänzung empfehle ich meine private (www.SiegfriedScherer.de) oder wissenschaftliche  Homepage.



So schlimm wird es doch nicht sein?
Also, es ist mir jetzt klar geworden, dass mein Kollege aus Kassel sich ernstlich Sorgen macht: Ein deutscher C3-Professor äußert sich evolutionskritisch (war das nicht der Landwirt, der das gesamte Methodenarsenal der modernen Biologie ablehnt?) - ein pensionierter Gymnasiallehrer schickt ein kreationistisches Buch an Gymnasien (und seine Tochter lässt pseudowissenschaftliche Druckerzeugnisse für eine öffentliche Bibliothek anschaffen) - Schweizer Christen drucken anti-evolutionistische Fachartikel (vierfarbig!) - im Internet bordet die Flut fundamentalistischer Desinformationen über (aber es gibt evolutionsbiologen.de) - und bibelgläubige, wissenschaftsfeindliche Leute nehmen die Errungenschaften der modernen Biomedizin in Anspruch. Geht es um die Glaubwürdigkeit der Evolutionsbiologie, das Ansehen der Wissenschaft, den Erfolg der Aufklärung? Gefährden die Evangelikalen den Wissenschaftsstandort Deutschland?
Nein, so schlimm ist es nicht.
Den Wissenschaftsstandort in Deutschland kenne ich nun ganz gut, gerade die Biologie. Aus erster Hand, sozusagen als Fachmann. Und ich finde: Kein Grund zur Sorge, echt nicht. Wir haben ja auch die Exzellenzinitiative, besonders in München. Kreationismus, ID, und die Evangelikalen kenne ich ebenfalls und weiß um ideologische Strömungen im amerikanischen Kreationismus, die kaum von Fachkenntnis getrübt sind. Ultrakrass. Aber dem begegnet man am besten sachlich und unaufgeregt. Robert Spaemann hat recht: Das wird sich bei uns nie durchsetzen, das bleibt Randerscheinung, und die Leute sollen ihre Meinung doch auch frei äußern dürfen (WiWo). Und die Schule? Kreationistisches Weltbild und 6 Tage Schöpfung in Biologie? Weder Kultusministerin Wolff, noch Ministerpräsident Althaus noch Wort und Wissen haben so etwas im Sinn. Vermutlich nicht mal George Bush. Ich übrigens auch nicht (-> Schule).
Nein, so schlimm ist es, glaube ich, wirklich nicht.
Jedes Ding hat zwei Seiten
Auch mit der Evolutionsbiologie bin ich leidlich vertraut, auf dem Gebiet forsche ich gelegentlich sogar (z.B. Loewe et al 2003, Science 302,1558-1560). Die sitzt doch ziemlich fest im Sattel. Abgesehen von beruhigenden Mehrheitsverhältnissen im Wissenschaftsbetrieb und den Medien gibt es schließlich gute Gründe für Evolution. Aufbauend auf Charles Darwin
(der Mann war wirklich gut) haben Evolutionsbiologen gezeigt, dass beobachtbare Evolution im Sinne von Variation, neutraler Evolution, Selektion, Anpassung und Artbildung ein fundamentales Kennzeichen des Lebens ist. Ja, insofern ist Evolution eine experimentell belegte Tatsache. Auch aus Erdgeschichte (die Daten sprechen nicht gerade dafür, dass die besonders kurz war) und vergleichender Biologie gibt es Befunde, die sich im Rahmen von Makroevolution ganz gut deuten lassen. Nein, kein Trick, der Meinung ich tatsächlich.
Allerdings – und da läge Herr Kollege Kutschera schon richtig, wenn er es gesagt hätte - meine ich, dass z.B. das Problem der Entstehung biologischer Information nicht gelöst ist: Entstehung der ersten Zelle, der molekularen Maschinen des Lebens oder von neuen Bauplänen. Keine peanuts, das stellt die bisher vorgeschlagenen Makroevolutionstheorien ziemlich in Frage. Beunruhigend? Schauen Sie mal in „Junker & Scherer, 2006, Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ rein. Ehrlich, das Buch ist besser, als evolutionsbiologen.de meinen. Und es ist recht erhellend, es neben Kutscheras „Evolutionsbiologie“ (2006) vergleichend zu lesen.
Äpfel und Birnen
Natürlich ist wissenschaftlich gut fundierte Kritik an Evolution kein Beweis für Schöpfung, noch nicht einmal Widerlegung der Evolutionsidee, höchstens Falsifikation bestimmter Teilhypothesen. Kreationismus (Sie haben schon gemerkt, dass ich dem kritisch gegenüber stehe) beruht auf Glauben, und das ist halt nicht Naturwissenschaft. Auch ID geht über Naturwissenschaft hinaus. Klar, ich deute naturwissenschaftliche Daten im Rahmen meines Schöpfungsglaubens, das ist eine weltanschauliche Grenzüberschreitung. Selbst wenn ich recht hätte. An Schöpfung muss man eben glauben. An eine erwürfelte evolutionäre Entstehung der ersten Zelle allerdings auch, sogar richtig fest.
Sollten wir, vielleicht, mal darüber reden?
Trotz Kritik: Die Evolutionstheorie ist dermaßen gut etabliert, dass vereinzelte Kritiker eigentlich das Salz in der Suppe sind. Das kratzt doch keinen ernsthaft, oder? Und wenn alle immer nur das Gleiche sagen, wo kämen wir da hin. Ich meine, ein bisschen sachliche, wissenschaftliche Stichelei, das muss schon sein. Keine Sorge, wirklich gute Theorien halten so was locker aus. Manche mögen zwar trotzdem nicht so gerne mit mir diskutieren. Aber wenn Herr Kutschera mich mal nach Kassel einladen würde, an die biologische Fakultät, zum Disput über molekulare Makroevolution? Spannend, oder? Das Auditorium wäre bestimmt nicht von christlichen Kampftrupps unterwandert.
Und ich würde nur naturwissenschaftlich argumentieren – versprochen. Nix Bibel und so. Ich kann das. Als Inhaber des Lehrstuhls für Mikrobielle Ökologie am Department für Grundlagen der Biowissenschaften der TU München nutze ich nämlich die bestens bewährte naturalistische Arbeitsweise der Naturwissenschaft (jeden Tag!) und dazu ein hübsches Arsenal modernster molekularbiologischer Analytik. Irgendwie bin ich so in die Autorenzeile von etwa 130 experimentellen Originalarbeiten in ziemlich guten Journalen geraten (Na ja, ein klein wenig Aufplustern gehört zum akademischen Geschäft, auch wenn beim Bayerischen Freistaat nicht die fette Rendite wie im Kreationismus-Business winkt).
Spaß beiseite
Nun, die Evolution hat das Leben selbst an einen glücklichen Christen wie mich nicht optimal angepasst. Deshalb muss man die Dinge zuweilen mit Humor nehmen, nichts für ungut, ich glaube, Herr Kutschera hat ein Einsehen mit mir.
Die Auseinandersetzung um Schöpfungsglaube, ID, Kreationismus, wissenschaftliche Evolutionstheorie und naturalistische Weltbilder wird in den USA jedenfalls mit harten Bandagen geführt. Vielleicht können wir ein wenig entspannter mit der Sache umgehen? ‚ismen’ können das schlecht. Es wäre also gut, wenn sich fundamentalistischer Evolutionismus bei uns genauso wenig wie ideologischer Kreationismus etabliert

(c) by Siegfried Scherer